Gesetzesentwurf zur Stabilisierung der AHV und Auswirkungen auf die 2. Säule

Verschärfung oder Lockerung?

Gesetzesentwurf zur Stabilisierung der AHV (AHV 21) und Auswirkungen auf die 2. Säule

Der Gesetzesentwurf AHV 21 beinhaltet auch Bestimmungen hinsichtlich der beruflichen Vorsorge wie die Regeln für den gestaffelten Bezug der Rentenleistungen bei allfälliger Teilpensionierung. Diese Regeln basieren auf Vorschlägen der Schweizerischen Steuerkonferenz und betreffen die aktuelle Vorgehensweise der Steuerbehörden.

Wird diese Vorgehensweise in Stein gemeisselt sein oder durch den Gesetzgeber gelockert oder verschärft?

Der Gesetzesentwurf AHV 21 behält die Möglichkeit des Rentenbeginns zwischen 58 und 70 Jahren bei und gestattet einen «weichen» Übergang zwischen dem Erwerbsleben und der Rente. Art. 13a des Vorentwurfs1 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlasse- nen- und Invalidenvorsorge (BVG) ermöglicht grundsätzlich einen Teilbezug der Altersleistung. Dieser Artikel legt fest, dass die Vorsorgeeinrichtung Altersleistungen als Rente unabhängig vom Beschäftigungsgrad abgestuft in mindestens drei Schritten anbieten muss. Der erste Teilbezug muss mindestens 20 Prozent der Altersleistung betragen. Der Gesetzgeber möchte durch diese Mindestvorschriften die Vorsorgeeinrichtungen schützen (Verwaltungs-aufwand), die auf eigenen Wunsch darüber hinausgehen und sowohl eine grössere Anzahl Schritte als auch einen ersten Teilbezug unter 20 Prozent anbieten können.

Die aktuell in der Praxis angewandten Regeln zum Teilbezug der Altersleistung sind bereits jetzt weitgehend durch die Steuerbehörden akzeptiert, die sich auf die Vorschläge der Schweizerischen Steuerkonferenz stützen.2 Wird die Leistung als Rente ausgeschüttet und somit gemeinsam mit den übrigen Einkünften versteuert, erübrigt sich in der Regel die Frage eines steuerlichen Missbrauchs.

Anders sieht es jedoch bei einem abgestuften Bezug der Altersleistung in Kapitalform aus.

Leistungen in Kapitalform

Laut Art. 13a Abs. 2 des BVG-Vorentwurfs (BVG-VE) ist der Bezug der Altersleistung in Kapitalform in höchstens drei Schritten zulässig. Die Gründe für diese Begrenzung liegen nicht in der Vorsorge, sondern in der steuerlichen Behandlung. Die Begrenzung verringert die Möglichkeiten für Versicherte, die in den Genuss grosszügiger Vorsorgepläne kommen, den Bezug ihrer Leistungen auf mehrere Steuerjahre zu verteilen und somit die Progression des privilegierten Steuersatzes3 für Kapitalleistungen aus der beruflichen Vorsorge zu vermindern.

Der Gesetzgeber führt aus, dass diese Begrenzung auch dann anzuwenden ist, wenn der Arbeitgeber an mehrere Vorsorgeeinrichtungen angeschlossen ist. Dies ist zwingend der Fall, wenn der Arbeitgeber einen umhüllenden Vorsorgeplan und einen Rahmenplan anbietet, der es der versicherten Person ermöglicht, ihre Anlagestrategie selbst zu wählen (sogenannte 1e-Pläne, Bezeichnung nach Art. 1e einer Vollzugsverordnung des BVG, das heisst BVV 2). Dies gilt auch, wenn eine Person die Vorsorgeeinrichtung wechselt,4 nachdem sie bereits eine oder zwei Kapitalleistungen aus ihrer Altersvorsorge erhalten hat. Wird bei Beginn einer Teilpensionierung ein Teilbezug in Form einer Kapitalleistung beantragt, muss die Vorsorgeeinrichtung somit sicherstellen, dass die versicherte Person einerseits an keine andere Pensionskasse angeschlossen ist, bei der bereits ein Gesuch eingereicht sein könnte, und dass sie andererseits noch keine betreffenden Leistungen von einer frühe- ren Pensionskasse erhalten hat.

Der Gesetzgeber möchte die Vorsorgeeinrichtungen vor zu hohem Verwaltungsaufwand schützen und vermeiden, dass sie bei Bezug als Rente eine zu stark abgestufte Rentenleistung akzeptieren müssen. Dessen ungeachtet entsteht für die Vorsorgeeinrichtungen bei Teilbezug der Altersleistung in Kapitalform unabhängig von der Anzahl der Schritte zusätzlicher Verwaltungsaufwand. Der Gesetzgeber hat somit hinsichtlich Art. 13a BVG-VE eine eher «steuerliche» Sicht der Vorsorge umgesetzt.

Auswirkungen auf die derzeitige steuerliche Behandlung

Die  Schweizerische Steuerkonferenz empfiehlt derzeit lediglich eine Höchstzahl von zwei Leistungen in Kapitalform. Die Annahme des Entwurfs würde somit zu einer Lockerung dieser Vorgehensweise führen. Vor dem Hintergrund, dass manche Steuerbehörden bereits jetzt drei Kapitalleistungen akzeptieren – wobei die Mehrzahl der kantonalen Steuerbehörden den Empfehlungen der Schweizerischen Steuerkonferenz folgt –, sollte diese Bestimmung auf Ebene der eidgenössischen Räte «die Hürde nehmen». Darüber hinaus begrüssen die Steuerbehörden die auf Ebene der «versicherten Person» konsolidierte Sichtweise des Gesetzgebers, obwohl sie für die Vorsorgeeinrichtungen zu einem verwaltungstechnischen Mehraufwand sowie höheren Kosten und erweiterten Pflichten führt.

Einkauf von Personen, die eine Leistung bezogen haben

Art. 79b Abs. 2 des BVG-Vorentwurfs überlässt es dem Bundesrat, den Einkauf von Personen zu regeln, die eine Leistung der beruflichen Vorsorge beziehen oder vollständig oder teilweise bezogen haben. Die betreffenden Personen können später entscheiden, ob sie erneut einer Erwerbstätigkeit nachgehen und sich einer Vorsorgeeinrichtung anschliessen, ob sie nach einer Teilpensionierung wieder verstärkt arbeiten oder ob sie vor Erreichen des Referenzalters ihre Einkünfte oder Gehälter steigern. Der Gesetzgeber führt weiter aus, dass die Vorsorgelücke dann unter Berücksichtigung der bereits bezogenen Leistungen zu berechnen ist, um ungerechtfertigte steuerliche Vorteile zu begrenzen oder auszuschliessen.

Die Vollzugsverordnung (BVV 2) regelt die betreffende Koordination. Hoffen wir, dass der Bundesrat die ideale Formel findet, mit der sich die steuerlichen Erfordernisse berücksichtigen lassen, ohne die Verwaltung der Vorsorgeeinrichtungen zu überlasten oder ihnen Pflichten aufzubürden, die in den privaten Bereich der versicherten steuerpflichtigen Person fallen. 
 

Isabelle Amschwand
lic. iur., ASTIA SA, Gründerin
Präsidentin der FCT und FCT 1e (Sammelstiftungen)

Bertrand Tille
lic. iur. LLM Europäisches Recht, Kantonal Steuerverwaltung (Waadt), Präsident der Arbeitsgruppe "Renten und Steuern", CSI

 

Artikel veröffentlicht in der VPS-Zeitschrift Ausgabe 05/2020

 


1 Botschaft zur Stabilisierung der AHV (AHV 21) vom 28. August 2019 – 19.050.

2 Vorsorge und Steuern, Anwendungsfall A. 1.3.8, Schweizerische Steuerkonferenz, Cosmos-Verlag, ISBN 2-8296-0028-2.

3 Art. 38, Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11), und Art. 11 Abs. 3, Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR 642.14).

4 Art. 8 des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit wird in diesem Sinne ergänzt.