Der «Sozialpartnerkompromiss»: ein umstrittenes Projekt

Der Bundesrat hat den Vorschlag zur Reform der beruflichen Vorsorge, der von drei nationalen Dachorganisationen – dem Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV), Travail.Suisse und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) – gemeinsam ausgearbeitet wurde, im Dezember in die Vernehmlassung geschickt. Dieses Reformprojekt, auch «Sozialpartnerkompromiss» genannt, soll das Finanzierungsproblem der beruflichen Vorsorge vermindern, das Leistungsniveau erhalten und die soziale Absicherung von Erwerbstätigen mit niedrigeren Löhnen verbessern. Die Vernehmlassung endet am 27. März 2020.

Eine der wesentlichen Massnahmen des Projekts betrifft die Senkung des Mindestumwandlungssatzes im BVG-Obligatorium von 6,8 auf 6,0 Prozent. Nötig wurde sie aufgrund der längeren Lebenserwartung und des anhaltenden Niedrig- oder gar Negativzinsumfelds. Diese zweifache Herausforderung setzt die berufliche Vorsorge seit vielen Jahren unter erheblichen Druck. 

Die vorgeschlagene Herabsetzung des Umwandlungssatzes wird von weiteren wichtigen Massnahmen begleitet. Eine hat insbesondere zum Ziel, das heutige Leistungsniveau aufrechtzuerhalten: Die Personen, die der Übergangsgeneration angehören, das heisst jene, die in den 15 Jahren nach Inkrafttreten der Reform das Rentenalter erreichen, erhalten lebenslang einen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierten, nicht von der Höhe der Rente abhängigen Zuschlag von 0,50 Prozent der AHV-Einkünfte der Beschäftigten, die jedoch auf CHF 853’200 beschränkt sind. Diese Massnahme wird heute aus mehreren Gründen in der Welt der beruflichen Vorsorge heiss diskutiert.

So führt beispielsweise die Finanzierung des Rentenzuschlags den Grundsatz der Solidarität in der beruflichen Vorsorge ein. Die Gegner der Reform meinen, diese Massnahme würde zu einer Verwechslung der Säulen beitragen, da die zweite Säule ein kapitalgedecktes System auf der Basis persönlicher Ersparnisse ist, im Gegensatz zur AHV, die auf einem Umlageverfahren beruht. Ferner würde der Rentenzuschlag nach dem Giesskannenprinzip verteilt, das heisst auf alle künftigen Begünstigten, die der Übergangsgeneration angehören, ohne Berücksichtigung ihrer persönlichen Lage. Anders ausgedrückt erhielten künftige Rentner, die über gesicherte Renten verfügen und deren Altersguthaben so hoch verzinst sind, dass es die Inflation nicht auffrisst, dieselben Leistungen wie die Versicherten, die nur einer Halbtagsbeschäftigung nachgehen oder niedrige Einkünfte haben und deshalb nur niedrigere Beiträge zahlen können.

Die Senkung der Umwandlungsrate und die Finanzierung des Rentenzuschlags weisen allerdings noch ein Merkmal auf, das bisher kaum Beachtung gefunden hat. In einer teilautonomen Vorsorgekasse würde die Senkung des Umwandlungssatzes indirekt den Versicherten zugutekommen, weil diese Massnahme letztlich den Deckungsgrad der Kasse verbessert. Hingegen sieht die Lage in den Sammelstiftungen der privaten Lebensversicherungsgesellschaften völlig anders aus. Bei diesem Modell führen die Sammelstiftungen die Beiträge, die sie einnehmen, an die Versicherungen ab, damit jene die Rückstellungen und das Deckungskapital bilden können, die einerseits die Risiken Tod und Invalidität der Vorsorgekasse decken und andererseits die Zahlung der Renten zu 6,8 Prozent ermöglichen sollen. Das bedeutet, dass die Senkung des Umwandlungssatzes in erster Linie den Versicherungen und deren Aktionären zugutekommt, weil sie die Rückstellungen und Kapitalreserven, die sie gebildet haben, um die Auszahlung der Renten zu 6,8 Prozent zu gewährleisten, auflösen können. In einem noch fragwürdigeren Licht steht dieser Aspekt, berücksichtigt man, dass die Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch ihre Zusatzbeiträge von 0,5 Prozent den Rentenzuschlag finanzieren, der die Aufrechterhaltung des heutigen Leistungsniveaus sicherstellt. 

Die Versicherungen wiederum sind der Auffassung, die aufgelösten Rückstellungen und Kapitalreserven könnten den Versicherten im Rahmen der Gewinnbeteiligung zurückgezahlt werden, wie es im Übrigen auch die sehr umstrittene Legal Quote vorschreibt. Ihr zufolge erstatten die Versicherungen im Rahmen der BVG den Versicherten die Jahresüberschüsse, sollten sie aus den versicherten Risiken, den Kapitalanlagen oder den eingenommenen Verwaltungsgebühren überhöhte Gewinne erzielt haben. Zweifellos verharren jedoch die Gewinnbeteiligungen, welche die privaten Lebensversicherungen den Versicherten zahlen, auf dem heutigen Niveau, das heisst, sie sind nach wie vor äussert niedrig, da selbst die den Versicherungsmaklern gezahlten Provisionen noch immer als «Aufwendungen zugunsten der Versicherten» gelten.

Der Sozialpartnerkompromiss wirft also viele Fragen auf, die noch zu klären sind. Sicher wird es noch zahlreiche Kommentare und Stellungnahmen hierzu geben, insbesondere im Rahmen der Vernehmlassung. Zudem wurden in jüngster Zeit zwei weitere Projekte zur zweiten Säule vorgelegt, eines vom Schweizerischen Gewerbeverband und das andere von einem Bündnis aus dem Schweizerischen Baumeisterverband, der Swiss Retail Federation und Arbeitgeber Banken. 

Fortsetzung folgt ...