Altersvorsorge: Zur jüngsten Entwicklung der Gesetzgebung

Laut Sorgenbarometer der Credit Suisse ist und bleibt die Altersvorsorge die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer – und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Die Bedeutung, welche die Bevölkerung diesem Thema beimisst, entspricht den immensen Herausforderungen, die sich unserem Vorsorgesystem stellen. Um diesen gerecht zu werden, muss sich das System permanent weiterentwickeln, wozu zwangsläufig Reformen erforderlich sind. Einige Reformen wurden bereits auf den Weg gebracht oder stehen kurz davor, während andere immer noch für hitzige Diskussionen sorgen. 

Wie verhält es sich also mit den gesetzlichen Entwicklungen, die sich auf die Altersvorsorge in unserem Land auswirken, insbesondere vor dem Hintergrund der Pandemie und dessen besorgniserregenden wirtschaftlichen Folgen?

Stabilisierung der AHV («AHV 21»)

Obgleich die Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) ab 2020 jährlich zwei Milliarden Franken zusätzlich in die AHV einbringen und so das Ungleichgewicht der ersten Säule verringern werden, bleibt die finanzielle Lage der AHV gleichwohl beunruhigend als auch dringlich. Der Bundesrat beabsichtigte aufgrund dessen die Reform AHV 21 zügig umzusetzen sowie, dass die Reform am 1. Januar 2022 in Kraft tritt. Dann ist das Coronavirus dazwischengekommen: Die Behandlung der Gesetzesvorlage in den eidgenössischen Räten hat sich bereits verzögert und die finanziellen Folgen der Pandemie versprechen bittere und langwierige Parlamentsdebatten. Der Reformvorschlag setzt weitgehend auf eine Erhöhung der Einnahmen, finanziert durch eine einstufige Anhebung der Mehrwertsteuer bei Inkrafttreten der Reform. Die Einhaltung der Frist wird auch davon abhängen, ob die Volksabstimmung obligatorisch (Mehrwertsteueränderung) oder fakultativ (Referendum) sein wird.

Wie auch immer die Reform AHV 21 vorankommen wird, bildet sie nur eine Etappe auf dem Weg zum deklarierten Ziel, einer bis 2030 angestrebten Stabilisierung der AHV. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft festhält, sei es notwendig wieder eine gewisse Dynamik regelmässiger AHV-Reformen herzustellen, um die laufenden Herausforderungen an die Versicherung, insbesondere in struktureller Hinsicht, auffangen zu können. Demzufolge müsse in den nächsten Jahren eine weitere Reform auf den Weg gebracht werden, die sich über das Zeitfenster von AHV 21 hinaus auswirkt.

Entwurf für eine Überbrückungsrente der AHV

Nachdem der neue Gesetzesentwurf zur Verbesserung der sozialen Sicherheit für ausgesteuerte ältere Arbeitslose zunächst durch die Pandemie gestoppt worden war, scheint das Parlament den Vorschlag nun in seinen Grundzügen gutzuheissen. Die Überbrückungsrente ist darauf angelegt, dass ältere Arbeitnehmende, die sich erfolglos um eine neue Anstellung bemüht haben, keine Sozialhilfe beantragen beziehungsweise vorzeitig in Rente gehen müssen. Die Überbrückungsrente ist für Arbeitslose über 60 Jahre gedacht, die mindestens 20 Jahre in die AHV eingezahlt haben und deren Vermögen weniger als 50'000 Franken beträgt (100'000 Franken für Paare). 

Was die einen minimalistisch nennen, ist für die anderen exzessiv. Die Leistungen, die in den eidgenössischen Räten noch zur Diskussion stehen, werden um einiges bescheidener ausfallen als vom Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen. Diese belaufen sich auf 65'643 Franken für ein Paar und zwischen 38'900 und 43'762 Franken für eine Einzelperson. Etwa 3'400 Personen sind, bei jährlichen Gesamtkosten von nahezu 150 Millionen Franken pro Jahr, davon betroffen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die SVP ein Referendum gegen die Vorlage ergreifen könnte, um ihre Initiative gegen den freien Personenverkehr zu stützen. In diesem Fall hätte das Stimmvolk das letzte Wort.

Reform der beruflichen Vorsorge

Die Frist für das Vernehmlassungsverfahren zur Reformvorlage für die berufliche Vorsorge ist gerade abgelaufen. Aufgrund der Pandemie war sie um zwei Monate, bis am 29. Mai 2020 verlängert worden. Die in die Vernehmlassung geschickte Vorlage («Vorschlag der Sozialpartner») war auf Einladung des Bundesrats von drei nationalen Dachverbänden gemeinsam erarbeitet worden, dem Schweizerischen Arbeitgeberverband, Travail.Suisse und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Die Dringlichkeit einer Reform der beruflichen Altersvorsorge und vor allem dessen wichtigster Massnahme, der Senkung des Umwandlungssatzes für die obligatorische Altersvorsorge, ist heute mehr denn je einstimmig anerkannt, da die Turbulenzen an den Kapitalmärkten und die absehbare Rezession infolge der Pandemie die Pensionskassen nur noch weiter unter Druck setzen werden.

Allerdings stösst der Entwurf der Sozialpartner auch auf heftige Kritik hinsichtlich der vorgeschlagenen Massnahmen für die Übergangsgeneration (lebenslanger monatlicher Rentenzuschlag, solidarisch finanziert durch einen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag von 0,5 Prozent). Die Gegner dieses Vorschlags argumentieren, der Rentenzuschlag führe Elemente in ein Kapitaldeckungsverfahren ein, die dort nichts zu suchen hätten, und zudem sei die Verteilung nach dem «Giesskannenprinzip» inakzeptabel. Aus diesem Grund wurden vom Schweizerischen Gewerbeverband (SGV), dem Pensionskassenverband ASIP und einem Zusammenschluss aus dem Schweizerischen Baumeisterverband, der Swiss Retail Federation und Arbeitgeber Banken eine Reihe weiterer Reformvorschläge eingereicht.

Reform der Ergänzungsleistungen: Massnahme für ältere Arbeitslose in der 2. Säule 

Der Bundesrat hat das Inkrafttreten der Reform der Ergänzungsleistungen (EL) auf den 1. Januar 2021 angesetzt. Die Reform folgt dem Ziel, das System der EL zu optimieren und dabei das Leistungsniveau grundsätzlich zu erhalten, führt aber auch eine Bestimmung zum besseren Schutz älterer Beschäftigter, die ihre Arbeit verlieren, ins BVG ein (neuer Artikel 47a). Heute muss eine versicherte Person ab 58 Jahren, die ihre Stelle verliert, aus der Pensionskasse ausscheiden und ihr Altersguthaben auf ein Freizügigkeitskonto übertragen. Ferner zahlen Freizügigkeitsstiftungen in der Regel keine Renten, sondern lediglich das Kapital aus. 

Dank der Reform können Arbeitnehmende, die im Alter von und über 58 Jahren (sofern im Reglement der Vorsorgeeinrichtung vorgesehen: ab 55 Jahren) entlassen werden, das Versicherungsverhältnis mit der Vorsorgeeinrichtung des ehemaligen Arbeitgebers aufrechterhalten. Da ihnen die gleichen Rechten zustehen wie den anderen Versicherten auch, haben sie ebenfalls die Möglichkeit, eine Rente zu beziehen. Das Versicherungsverhältnis kann auch dann aufrechterhalten werden, wenn der Betroffene eine neue Anstellung mit deutlich schlechteren Versicherungskonditionen antritt. Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Krise, die kurz- oder mittelfristig zu einer signifikanten Entlassungswelle führen könnte, dürfte diese Massnahme von Bedeutung sein. 

Kinderschutz und berufliche Vorsorge

Um die familienrechtliche Eintreibung von Unterhaltsforderungen in der ganzen Schweiz zu vereinheitlichen, hat der Bundesrat im Dezember 2019 eine neue Verordnung verabschiedet, die am 1. Januar 2022 in Kraft treten soll. Diese Verordnung umfasst eine Bestimmung, die sich direkt auf die berufliche Altersvorsorge bezieht. Wer seinen Unterhaltspflichten nicht nachkommt und Alimente schuldig bleibt, soll daran gehindert werden, sich Kapital der 2. Säule auszahlen zu lassen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Inkassostellen den Schuldner, der seine Unterhaltspflichten nicht erfüllt, an die Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtungen melden können, welche wiederum ihrerseits die Inkassostellen informieren, falls Kapitalvermögen an diese Person ausgezahlt werden soll.